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Unternehmensrecht
Ausnahme von der Corona-Ausgangssperre
für Termine mit dem Rechtsanwalt in Frankreich
April 2021, Epp Rechtsanwälte Avocats
Im Rahmen der Corona-Maßnahmen (Gesundheitsnotstand; état d’urgence sanitaire) gilt in Frankreich seit November 2020 eine abendliche Ausgangssperre. Diese galt zunächst von 18 Uhr bis 6 Uhr. Später wurde der Zeitrahmen der Ausgangssperre auf 19 Uhr bis 6 Uhr verlegt.
Während dieser Ausgangssperre ist es den Bürgern untersagt, ihre Wohnungen zu verlassen, es sei denn es besteht ein zwingender Grund für den Aufenthalt außerhalb der Wohnung. Das Vorliegen eines zwingenden Grundes – diese Gründe sind gesetzlich definiert – stellt also eine zulässige Befreiung vom Verbot, die Wohnung zu verlassen, dar.
Im Rahmen der zwingenden Gründe fand sich jedoch nicht die Wahrnehmung eines Termins beim Anwalt.
Hierin sahen die französischen Anwälte eine Verletzung der Grundrechte der Rechtssuchenden auf Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung und auf die Stellung von Anträgen bei Gerichten.
Das Problem wurde im Rahmen eines Eilantrages der Anwaltskammer Montpellier bis zum Obersten französischen Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) geführt. Begründet hat die Anwaltskammer ihre Klage damit, dass eine „Fernberatung“ (Telefon, Videokonferenz) die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant nicht durchgehend gewährleisten könne.
Das Oberste französische Verwaltungsgericht entschied daraufhin in seinem Urteil vom 3. März 2021 (n° 449764) wie folgt:
- Das Fehlen einer speziellen Befreiung für das Aufsuchen eines Rechtsanwalts nach 18 Uhr (zwischenzeitlich: erweitert auf 19 Uhr) erschwert wahrscheinlich den Zugang zu einem Rechtsanwalt zu Bedingungen, die den Erfordernissen der Wahrung der Rechtsverteidigung entsprechen würde und macht einen solchen Zugang in einigen Fällen in der Praxis sogar unmöglich. Insbesondere für Personen, die vor allem aufgrund ihres Berufs zeitlich eingeschränkt verfügbar sind, wäre eine Beratung per Telefonkonferenz von zu Hause aus, selbst wenn dies physisch möglich wäre, nicht geeignet, vor allem im Falle von familiären oder persönlichen Streitigkeiten.
- Die allgemeine Befreiungsregel, die eine Nichtbeachtung der Ausgangssperre zulässt, falls diese Nichtbeachtung aus beruflichen Gründen erfolgt, erlaubt somit einem Berufstätigen oder einem Unternehmer, sich nach 18 Uhr (zwischenzeitlich: erweitert auf 19 Uhr) in die Kanzlei seines Anwalts zu begeben, um sich mit diesem zu besprechen, da der Berufstätige in der Regel angeben kann, dass er seinen Anwalt aus beruflichen Gründen aufsucht. Berufstätige und Unternehmer kommen somit in den Genuss der „beruflichen Befreiungsregelung“. Ein Verbraucher oder ein Arbeitnehmer hingegen, der seinen Anwalt wegen eines (nichtberuflichen) privaten Rechtsstreits aufsuchen möchte, kann dies nach 18 Uhr nicht tun, da ihm nicht die „berufliche Befreiungsregelung“ zugutekommt. Dieser Zustand schafft eine rechtswidrige Ungleichbehandlung zwischen beruflich Handelnden einerseits und privat Handelnden andererseits.
Aus diesen Gründen hat das Oberste französische Verwaltungsgericht geurteilt, dass die während der Ausgangssperre in Frankreich bestehende Unmöglichkeit, einen Rechtsanwalt aufzusuchen, einen schweren und eindeutig rechtswidrigen Verstoß gegen das Grundrecht auf Zugang zu Rechtsberatung und zu den Gerichten darstellt.