Vertraulichkeit des Jahresabschlusses in Frankreich:
Transparenz oder Diskretion?
Juni 2024, In Extenso
Die Pflicht zur Offenlegung von Jahresabschlüssen, die ursprünglich eingeführt wurde, um die Transparenz von Unternehmen gegenüber ihren Lieferanten und Kunden zu erhöhen, wird von einigen Unternehmern oft als übergriffig empfunden, was in manchen Fällen dazu führt, dass sie ihren Jahresabschluss nicht einreichen und damit eine Sanktion riskieren.
Laut den Artikeln L.232-21 ff. des französischen Handelsgesetzbuchs sind Handelsgesellschaften in Frankreich verpflichtet, ihren Jahresabschluss innerhalb eines Monats nach seiner Feststellung durch die ordentliche Gesellschafterversammlung (oder durch Beschluss des Alleingesellschafters) oder, wenn die Einreichung elektronisch erfolgt, innerhalb von zwei Monaten nach erfolgter Feststellung zu veröffentlichen.
Die bei der Geschäftsstelle hinterlegten Abschlüsse (künftig wird die Einreichung über die zentrale Anlaufstelle Guichet Unique erfolgen) werden anschließend im französischen Amtsblatt für zivil- und handelsrechtliche Anzeigen BODACC veröffentlicht.
Als Unternehmer oder Unternehmerin stellt sich Ihnen in der Tat die legitime Frage nach der Transparenz der Finanzdaten Ihres Unternehmens in einer Welt, die gegenüber dieser gesetzlichen Verpflichtung die Geheimhaltung oder zumindest die Diskretion als Mehrwert (sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht) in den Vordergrund stellt.
Die Pflicht zur Hinterlegung des Jahresabschlusses bei der Geschäftsstelle stellt für Gesellschaften, die dieser Pflicht unterliegen, eine zivilrechtliche Verpflichtung dar. Jeder, der ein berechtigtes Interesse nachweisen kann, kann die Gesellschaft und/oder ihre Geschäftsleitung für Schäden, die durch die Nichthinterlegung verursacht werden, haftbar machen.
Die Nichthinterlegung ist ein strafrechtliches Vergehen. Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit der fünften Klasse, die mit einer Geldstrafe von 1.500 Euro (3.000 Euro im Wiederholungsfall) geahndet werden kann.
Die im Vergleich zu Vertraulichkeitsfragen relativ geringe Strafhöhe und die Seltenheit der Strafverhängung können dazu geführt haben, dass sich einige Unternehmensleiter/innen trotz einer Verschärfung der Gerichtsurteile in den letzten Jahren von dieser gesetzlichen Verpflichtung abgewandt haben.
Die französische Verordnung vom 30. Januar 2014, dann Artikel 213 des Macron-Gesetzes vom 6. August 2015 und schließlich das französische Gesetz Loi PACTE vom 22. Mai 2019 berücksichtigen das notwendige Bedürfnis bestimmter Unternehmen nach Vertraulichkeit und das öffentliche Ziel der Transparenz des Wirtschaftslebens, indem sie eine mögliche Option für bestimmte Unternehmen eingeführt haben, ihre Jahresabschlüsse vertraulich zu behandeln.
Vertraulichkeit des Jahresabschlusses: Eine Option für Unternehmen
Handelsgesellschaften, bei denen es sich um Kleinst- oder Kleinunternehmen handelt, können beantragen, dass ihre Abschlüsse nicht offengelegt werden. Diese Option steht Ihnen als Unternehmensleiter/in zur Verfügung und stellt keine Verpflichtung dar, selbst wenn die Kriterien für die Inanspruchnahme erfüllt sind.
Diese Option muss bei der Einreichung des Jahresabschlusses angezeigt werden und bedarf eines bestimmten Formalismus. Zur Unterstützung muss eine schriftliche und unterschriebene standardisierte Erklärung bezüglich der Ausübung der Option eingereicht werden. Diese Erklärung kann laut Rechtsprechung nicht im Nachhinein erfolgen. Einige Geschäftsstellen konnten früher Berichtigungen vornehmen, aber diese Praxis scheint heute nicht mehr möglich zu sein.
In manchen Fällen kann es ratsam sein, diese Vertraulichkeit nicht zu beantragen. Wenn Sie z. B. ein Architekturunternehmen leiten, kann die Geheimhaltung Ihr Unternehmen daran hindern, an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen. Einem Bauunternehmen kann ein Lieferantenkredit mit der Begründung verweigert werden, dass seine Abschlüsse nicht öffentlich zugänglich sind und es dem Lieferanten daher nicht möglich ist, ein eigenes Preisangebot zu erstellen. Dies sind nur Beispiele, aber Sie sollten in jedem Fall stets abwägen zwischen dem Vorteil der vertraulichen Hinterlegung des Jahresabschlusses im Hinblick auf seine Auswirkungen und der notwendigen Transparenz, die Sie Ihrem Unternehmen verleihen wollen.
Außerdem ist die Vertraulichkeit des Jahresabschlusses oft nicht von so großem Interesse, wie es von der Unternehmensleitung beispielsweise im Rahmen eines Veräußerungsprozesses angenommen wird. Denn was bringt es, Informationen vertraulich zu behandeln, die man einem potenziellen Käufer nach Unterzeichnung einer einfachen Vertraulichkeitsvereinbarung frei zugänglich macht? Die Hinterlegung des Jahresabschlusses bei der Geschäftsstelle verpflichtet außerdem keineswegs dazu, sein Unternehmen zu einem offenen Buch für alle zu machen. Nicht alle Dokumente werden bei der Geschäftsstelle eingereicht. Die Liste der Informationen, die bei der Geschäftsstelle eingereicht werden müssen, ist gesetzlich so geregelt, dass es nicht notwendig ist, weitere Informationen mitzuteilen.
Als Unternehmerin oder Unternehmer obliegt Ihnen die Entscheidung, ob Sie diese Option in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Bei dieser Entscheidung können Sie sich gegebenenfalls von Ihren Beratern unterstützen lassen.
Vertraulich: Was für einige geheim ist, ist für andere nicht geheim
Die Vertraulichkeit soll lediglich verhindern, dass der Jahresabschluss eines Unternehmens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das bedeutet nicht, dass die in diesen Jahresabschüssen enthaltenen Informationen nicht auch anderweitig offenbart werden können.
Zunächst einmal kann diese Vertraulichkeit bestimmten Einrichtungen gegenüber nicht entgegengehalten werden: Banque de France, Justiz- und Verwaltungsbehörden und Gesellschaften, die direkt oder indirekt Unternehmen finanzieren, in sie investieren oder Leistungen zugunsten von Gesellschaften erbringen, die die Vertraulichkeit ihrer Jahresabschlüsse beanspruchen (Kreditratingagentur, Berater für partizipative Investitionen, Zahlungsinstitute, Vermittler von Bankgeschäften und Zahlungsdiensten, Gesellschaften, die auf Informationen über die Zahlungsfähigkeit und die Vermeidung von Zahlungsausfällen spezialisiert sind usw.).
Im Übrigen erhält die Geschäftsstelle des Handelsgerichts bei einer Einreichung mit Antrag auf Geheimhaltung Kenntnis von den Jahresabschlüssen.
Darüber hinaus bleiben die Jahresabschlüsse den Gesellschaftern, Geschäftsführern, und den zur Kenntnisnahme berechtigten Dritten und Beratern stets zugänglich. Während natürlich Personen, die Kenntnis von den Jahresabschlüssen eines Unternehmens haben, einer Geheimhaltungspflicht unterliegen können (Anwalt, Steuerberater, Notar usw.), gibt es Personen, für die bestenfalls nur eine legitime Schweigepflicht gilt.
Wie verhält es sich mit Unternehmen, die keine Kleinstunternehmen sind?
Der Grad der Vertraulichkeit, den Sie genießen können, hängt von gesetzlich festgelegten Kriterien ab.
Kleinstunternehmen können ihren gesamten Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung) geheim halten, während Kleinunternehmen nur ihre Gewinn- und Verlustrechnung vertraulich behandeln können (ihre Bilanz bleibt öffentlich).
Beachten Sie jedoch, dass der Begriff Kleinstunternehmen nicht mit dem Begriff Mikrounternehmen verwechselt werden darf. Unter Mikrounternehmen versteht man in Frankreich Einzelunternehmen, die einem vereinfachten Steuer- und Sozialversicherungssystem unterliegen.
Zur Erinnerung: Ein Kleinstunternehmens ist ein Unternehmen, das zwei der drei folgenden Schwellenwerte im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr (ggf. bezogen auf zwölf Monate) nicht überschreitet:
Bilanzsumme: 450.000 Euro
Umsatz: 900.000 Euro
Durchschnittliche Anzahl der während des Geschäftsjahres beschäftigten Arbeitnehmer: 10
Zur Erinnerung: Ein Kleinunternehmen ist ein Unternehmen, das zwei der drei folgenden Schwellenwerte im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr (ggf. bezogen auf zwölf Monate) nicht überschreitet:
Bilanzsumme: 7.500.000 Euro
Umsatz: 15.000.000 Euro
Durchschnittliche Anzahl der während des Geschäftsjahres beschäftigten Arbeitnehmer: 50
Diese Schwellenwerte werden bei jedem Jahresabschluss analysiert, und ein Unternehmen bleibt nicht lebenslang in einer Kategorie. Dies kann erklären, warum Ihr Unternehmen in einem Geschäftsjahr bei der Einreichung seines Jahresabschlusses nicht oder nur teilweise von der Vertraulichkeit profitieren kann. Außerdem können sich diese Schwellenwerte ändern (dies ist z. B. der Fall für Jahresabschlüsse ab dem 01.01.2024).
Bestimmte Unternehmen sind von dieser Regelung ausgenommen
Einige Unternehmen, die zwar als Kleinstunternehmen oder Kleinunternehmen (oder mittelständische Unternehmen – siehe unten) eingestuft werden können, kommen dennoch nicht in den Genuss der Vertraulichkeit, da sie vom Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Von der Regelung ausgeschlossene Kleinstunternehmen
Einige Kleinstunternehmen können, obwohl sie die Schwellenwertkriterien erfüllen, nicht die Vertraulichkeit ihres Jahresabschlusses beantragen. Dies gilt insbesondere für:
- gewisse Kreditinstitute und Finanzierungsgesellschaften;
- gewisse Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, Sozialversicherungsträger, Vorsorgeeinrichtungen und deren Verbände;
- Personen und Organisationen, deren Finanztitel zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind;
- Personen und Einrichtungen, die im Sinne des französischen Gesetzes Nr. 91-772 vom 7. August 1991 Spendenaufrufe tätigen;
- Unternehmen, deren Tätigkeit in der Verwaltung von Beteiligungen und Wertpapieren besteht.
Von der Regelung ausgeschlossene Kleinunternehmen
Darüber hinaus dürfen folgende Unternehmen, selbst wenn sie als Kleinunternehmen gelten, ihre Gewinn- und Verlustrechnung nicht für vertraulich erklären:
- gewisse Kreditinstitute und Finanzierungsgesellschaften;
- gewisse Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, Sozialversicherungsträger, Vorsorgeeinrichtungen und deren Vereinigungen;
- Personen und Organisationen, deren Finanztitel zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind;
- Personen und Einrichtungen, die im Sinne des französischen Gesetzes Nr. 91-772 vom 7. August 1991 Spendenaufrufe tätigen;
- Gesellschaften, die im Sinne von Artikel L. 233-16 des französischen Handelsgesetzbuchs einer Gruppe angehören.
Achtung: Nicht alle Holdinggesellschaften sind zwangsläufig von dieser Regelung ausgeschlossen.
Eine Holdinggesellschaft ist ein Unternehmen, das an einem oder mehreren Unternehmen (Tochtergesellschaften) eine Beteiligung hält. Hierbei kann es sich gegebenenfalls um Beteiligungstitel handeln, je nachdem, wie man die Beteiligung gemäß dem Steuerrecht oder dem Gesellschaftsrecht einstuft, wobei dieser Begriff im Übrigen variieren kann. Dieser Besitz stellt in Wirklichkeit eine einfache vermögensrechtliche und zivilrechtliche Aktivität dar, da die Holdinggesellschaft in Bezug auf die gehaltenen Beteiligungen eine passive Rolle spielt.
Einige Holdinggesellschaften haben hingegen eine aktive Rolle bei ihren Tochtergesellschaften, sei es in Form eines Gesellschaftsmandats oder einer aktiven Verwaltung ihrer Beteiligung.
Holdinggesellschaften, die unter die Regelung für Kleinstunternehmen fallen, da sie die Schwellenwerte einhalten, können die Vertraulichkeit nur unter der Bedingung in Anspruch nehmen, dass sie die Beteiligung nicht aktiv verwalten. Daher könnte eine passive Holdinggesellschaft durchaus die Vertraulichkeit ihrer Jahresabschlüsse in Anspruch nehmen (vgl. Stellungnahme des Comité de Coordination du Registre du Commerce et des Sociétés (CCRCS 2019-011 vom 19. Dezember 2019)). Gemäß diesem Ausschuss stellt das bloße Halten von Wertpapieren oder Beteiligungen von Tochtergesellschaften an sich noch keine Tätigkeit der Verwaltung dieser Wertpapiere als solche dar. Es muss also von Fall zu Fall entschieden werden, ob die Rolle der Holdinggesellschaft als eine Verwaltung der in den Aktiva gehaltenen Wertpapiere analysiert werden kann oder nicht.
Bei Holdinggesellschaften, die der Definition von Kleinunternehmen entsprechen, schließt die Beteiligung an einer Unternehmensgruppe im Sinne von Artikel L. 233-16 des französischen Handelsgesetzbuchs die betreffende Gesellschaft hingegen von der Vertraulichkeit aus (ebenso wie eine Tochtergesellschaft, die derselben Unternehmensgruppe angehört). Dies bezieht sich auf den Fall, dass dieses Unternehmen die Kontrolle über die betreffende Tochtergesellschaft ausübt (alleinige Kontrolle, z. B. durch den Besitz der Mehrheit der Stimmrechte; gemeinsame Kontrolle aufgrund der geteilten Kontrolle mit einer begrenzten Anzahl von Gesellschaftern).
Auch hier gilt es, wachsam zu sein und eine Einzelfallanalyse vorzunehmen, wenn es Unternehmen gibt, die einer Gruppe angehören.
Vertraulichkeit für mittelständische Unternehmen: Ein begrenzter Vorteil
Der Begriff Vertraulichkeit mag für mittelständische Unternehmen etwas irreführend erscheinen. Handelsunternehmen, die unter die Definition von mittelständischen Unternehmen fallen, können seit dem 23. Mai 2019 eine vereinfachte Version ihrer Bilanz und des Anhangs veröffentlichen.
Gewisse Unternehmen sind im Übrigen von dieser Möglichkeit ausgeschlossen (Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Finanzierungsgesellschaften, Unternehmen, die einer Unternehmensgruppe angehören, Unternehmen, deren Tätigkeit in der Verwaltung von Beteiligungen und Wertpapieren besteht …).
Zur Erinnerung: Ein mittelständisches Unternehmen ist ein Unternehmen, das zwei der drei folgenden Schwellenwerte im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr (ggf. bezogen auf zwölf Monate) nicht überschreitet:
Bilanzsumme: 25.000.000 Euro
Umsatz: 50.000.000 Euro
Durchschnittliche Anzahl der während des Geschäftsjahres beschäftigten Arbeitnehmer: 250
Schlusswort
Die Vertraulichkeit des Jahresabschlusses ist nunmehr ein echtes Instrument für die Geschäftsleitung, um die Interessen des Unternehmens in Bezug auf die finanziellen und wirtschaftlichen Informationen, die sie innerhalb der gesetzlich zulässigen Grenzen an Dritte weitergeben möchte, bestmöglich zu verwalten.
Autor: Pierre Lamant